Das Mietrecht in der Schweiz gilt als Teil des Sozialrechts. Es ist geprägt von weitgehendem Formalismus. Der Formalismus soll vor allem den Mieter schützen. Entsprechend führt die Nichteinhaltung der Formvorschriften regelmässig zur Nichtigkeit des entsprechenden Rechtsgeschäftes. Allerdings hat auch der Formalismus seine Grenzen, wie das Bundesgericht im Entscheid 4A_462/2011 vom 5. März 2012 festgehalten hat.
Sachverhalt
Eine Versicherung vermietete einem Mieter in der Zeit zwischen 1987 und 2009 eine Wohnung in Basel. Der ursprüngliche Mietzins betrug CHF 760. Er wurde über die Jahre mehrmals angepasst. Die letzte Änderung des Mietzinses wurde mit Mietvertragsänderungsanzeige vom 13. November 2002 mit Wirkung ab 1. April 2003 vorgenommen. Die Änderungsanzeige wurde aber vom Vermieter, der Versicherung, nicht handschriftlich unterzeichnet sondern trug nur die faksimilierte Unterschrift. Allerdings wurde das Begleitschreiben handschriftlich unterzeichnet. In der Folge zahlte der Mieter anstandslos den neuen Mietzins bis zum Auszug im Jahr 2009.
Nach dem Auszug des Mieters im Jahr 2009 forderte er aber gerichtlich die Differenz zwischen dem bis am 31. März 2002 geltenden Mietzins und dem per 1. April 2003 erhöhten Mietzins. Er berief sich dafür auf die Nichtigkeit der Mietzinserhöhung vom 13. November 2002 wegen Fehlens der handschriftlichen Unterschrift auf dem Formular.
Anforderungen an eine Mietzinserhöhung
Nach Art. 269 d OR hat der Vermieter dem Mieter eine Mietzinserhöhung auf einem vom Kanton genehmigten Formular mitzuteilen, die Änderung zu begründen und auf die Androhung einer Kündigung zu verzichten. Die Praxis verlangt, dass das Formular persönlich unterzeichnet wird. Werden diese Vorschriften nicht eingehalten, ist die Mietzinserhöhung nichtig. Die Nichtigkeit führt dazu, dass der Mieter die Differenz zwischen altem und neuem Mietzins zurückfordern kann.
Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs
Allerdings hat das Bundesgericht immer wieder festgehalten, dass die Ausübung eines Rechts, hier die Geltendmachung der Nichtigkeit, unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs steht. Auch die Berufung auf die Formungültigkeit kann einen offenbaren Rechtsmissbrauch darstellen. Grundlage der Beurteilung ist die Würdigung aller Umstände des Einzelfalles.
Vorbehalt 1: Freiwillige und irrtumsfreie Erfüllung eines Vertrages zur Hauptsache
Nach der Rechtsprechung verhält sich rechtsmissbräuchlich, wer einen Vertrag freiwillig, irrtumsfrei und mindestens zur Hauptsache erfüllt hat und hernach die Erfüllung des Restanspruchs der Gegenpartei unter Verweis auf den Formmangel verweigert. Irrtumsfrei bedeutet in diesem Fall Erfüllung in Kenntnis des Formmangels. Die Parteien müssen beim Abschluss und bei der Erfüllung des Vertrages wissen oder in zurechenbarer Weise wissen können, dass das durch sie getätigte Rechtsgeschäft der gesetzlichen Formvorschrift widerspricht. Wer einen Vertrag erfüllt, ohne den Formmangel zu kennen, verhält sich nicht widersprüchlich, und ein Rechtsmissbrauch scheidet aus. Im vorliegenden Fall konnte nicht nachgewiesen werden, dass der Mieter die Formungültigkeit gekannt hat, weshalb dieser Vorbehalt nicht zur Anwendung kam.
Vorbehalt 2: Verwirklichung von Interessen, welche ein Rechtsinstitut nicht schützen will
Rechtsmissbräuchlich handelt auch, wer ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen verwendet, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will. Zweck der Formularpflicht ist die Orientierung des Mieters über die Gründe der Mietzinserhöhung und die Anfechtungsmöglichkeiten. Diesen Zweck hat das Formular erfüllt, auch wenn es nicht unterschrieben wurde. Mit der eigenhändigen Unterschrift soll vermieden werden, dass die Identität des Erklärenden unsicher ist. Im vorliegenden Fall aber wusste der Mieter genau, von wem die Erklärung stammte. Beide Parteien richteten ihr Verhalten während Jahren an diesem nicht unterzeichneten Formular aus. Die handschriftliche Unterschrift dient aber nicht dazu, nach Jahren auf deren Fehlen zurückzukommen und den Differenzbetrag zurückfordern zu dürfen. Dieses Verhalten stellt einen Rechtsmissbrauch dar und verdient keinen Schutz. Das Rückforderungsbegehren des Mieters wurde deshalb abgewiesen.
Fazit
Im Ergebnis ist die Entscheidung des Bundesgerichts sicher vertretbar. Allerdings stellen sich in der Praxis einige Abgrenzungsprobleme. Wie lange muss z.B. erfüllt worden sein, bis der Schutz der Formvorschrift der eigenhändigen Unterschrift entfällt. Genügen dafür auch Monate? Oder entfällt der Schutz schon dann, wenn über die Identität des Unterzeichnenden – wie wohl oft der Fall – gar keine Zweifel bestehen? Es wird wohl eine fliessende Grenze zwischen dem Schutz durch Formvorschriften einerseits und der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf Formvorschriften andererseits bestehen bleiben. Hier entscheidet im jeweiligen Einzelfall der Richter mit weitem Ermessen.