I. Werkmängelhaftung
Art. 58 OR regelt die Werkeigentümerhaftung. Dieser Artikel ist wenigen Liegenschaftsbesitzern bekannt, obwohl er die Haftung des Eigentümers von Liegenschaften regelt, wenn Nutzer der Liegenschaft zu Schaden kommen. Gemäss dieser Bestimmung haftet der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werkes für den Schaden, den dieses infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder mangelhaften Unterhalts verursacht. Es handelt sich um eine Kausalhaftung, allerdings ohne Entlastungsmöglichkeit, wenn ein Werkmangel vorliegt.
II. Ein schrecklicher Liftunfall
Wer hat nicht schon davon geträumt, dass er in den Lift steigt und dieser beim Hinunterfahren nicht mehr bremst. Genau dies ist im Jahre 2000 einer Person in Thun passiert.
Die Person besuchte am 26. September 2000 ihre Mutter in einem Mehrfamilienhaus im vierten Stock. Nach dem Besuch stieg die Person in den Lift und wollte im Parterre aussteigen. Der Lift aber hielt weder im Parterre noch im Keller sondern schlug ungebremst auf den Auffahrpuffer im Liftschacht. Dieser Unfall führte zu körperlichen Beschwerden.
Nach dem Unfall wurde der Lift einlässlich untersucht. Es wurde festgestellt, dass er den gültigen Normen entsprach. Allerdings hat ein Magnetschalter, ein Teil der Steuerung, nicht richtig funktioniert. Dort ist ein Zählfehler aufgetreten, weshalb der Lift nicht anhielt. Der Überfahrschutz entsprach ebenfalls allen Normen. Doch war dieser Überfahrschutz nicht für alle Risiken ausgelegt, weshalb er versagte.
Auch die Unterhaltsmassnahmen wurden abgeklärt. Es zeigte sich, dass der Eigentümer einen Vollunterhaltsvertrag abgeschlossen hatte. Die Unterhaltsmassnahmen wurden auch getroffen. Es zeigte sich kein Versäumnis des Eigentümers.
III. Die Frage nach dem Werkmangel
Entscheidend für die Haftung des Liegenschaftseigentümers war die Frage, ob ein Werkmangel vorlag, welcher zum Unfall führte.
1. Objektive Betrachtung
Ob ein Werk – hier der Lift – fehlerhaft angelegt oder mangelhaft unterhalten ist, hängt vom Zweck ab, den es zu erfüllen hat. Ein Werkmangel liegt vor, wenn das Werk bei bestimmungsgemässem Gebrauch keine genügende Sicherheit bietet. Vorzubeugen hat der Werkeigentümer nicht jeder denkbaren Gefahr, sondern nur jener, die sich aus der Natur des Werkes und seiner normalen Benützung ergibt. Entscheidend sind objektive Gesichtspunkte, unter Berücksichtigung dessen, was sich nach der Lebenserfahrung am fraglichen Ort zutragen kann.
2. Schranke Selbstverantwortung und Zumutbarkeit
Schranke der Haftung bildet die Selbstverantwortung des Nutzers. Es dürfen Risiken ausser Acht gelassen werden, welche von den Benützern des Werkes oder von Personen, die mit dem Werk in Berührung kommen, mit einem Mindestmass an Vorsicht vermieden werden können. Eine weitere Schranke der Haftung bildet die Zumutbarkeit. Zu entscheiden ist, ob die Beseitigung von Mängeln oder das Anbringen von Sicherheitsvorkehrungen technisch möglich ist und die entsprechenden Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Schutzinteresse der Benützer und dem Zweck des Werkes stehen.
3. Anwendung der Regeln auf den Liftunfall
Im vorliegenden Fall ist der Lift vom Benutzer bestimmungsgemäss gebraucht worden.
Zum Unfall kam es wegen einer Fehlfunktion des Magnetschalters. Dabei handelt es sich um einen bekannten, aber technisch nicht vollständig vermeidbaren Fehler. Das aber führt dazu, dass Schutzmassnahmen gegen diese Fehlfunktion getroffen werden müssen. Der Lift hatte deshalb einen Überfahrschutz. Doch auch dieser konnte die ihm zugewiesene Funktion nicht erfüllen und versagte für diese Art von Fehler. Der Schutz war objektiv gesehen ungenügend. Damit war die Mangelhaftigkeit der Anlage bereits erstellt.
Folge des mangelhaften Liftes war, dass der Eigentümer für die Genugtuung und den Schaden des Benutzers aufkommen musste.
IV. Der Zufall kann teuer werden
Das Beispiel zeigt, dass Eigentümer von Liegenschaften sogar für zufällige Ereignisse haften. Im vorliegenden Fall konnte nämlich dem Eigentümer keine Sorgfaltspflichtwidrigkeit vorgeworfen werden. Er erfüllte die technischen Normen und hatte eine Firma mit dem Unterhalt betraut.
V. Würdigung
Schäden aus Werkmängeln werden meist über Versicherungen gedeckt. Doch muss sicher gestellt werden, dass eine solche Versicherung auch abgeschlossen worden ist, sonst haftet der Eigentümer privat und das kann sehr teuer werden