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Streitigkeiten bei Dienstbarkeiten

Harter Kampf zwischen Nachbarn

I. Ausgangslage
Zwei Nachbarn besitzen auf ihrer gemeinsamen Grenze einen Weg, dessen Benutzung über ein gemeinsames Fahr- und Wegrecht beiden offen steht. Grundlage der Dienstbarkeit ist ein Vertrag aus dem Jahre 1957, der seinerzeit von den Vorgängern im Eigentum der Grundstücke abgeschlossen wurde. Der eine Nachbar reichte im Jahre 2006 ein Baugesuch für einen Erweiterungsbau ein. Zu diesem Erweiterungsbau gehörte auch ein oberirdischer Steg, welcher zu einem kleinen Teil überhalb der Fläche der angeblichen Dienstbarkeitsfläche verlief. Die Baubewilligung wurde trotz Widerstand erteilt und der Steg dann auch gebaut. Nun wehrte sich der betroffene Nachbar zivilrechtlich. Er war der Meinung, dass der Steg, soweit er über der Dienstbarkeitsfläche verläuft, die Dienstbarkeit verletzte. Das Bundesgericht hatte diesen Fall zu entscheiden (5A_652/2010). Zunächst musste das Bundesgericht den Umfang der Dienstbarkeit ermitteln. Dann musste es entscheiden, ob allenfalls Rechtsmissbrauch vorliegt.

II. Umfang von Dienstbarkeiten
Unter den Vertragsparteien
Unter den ursprünglichen Parteien, welche den Dienstbarkeitsvertrag abgeschlossen haben, kommt Art. 738 ZGB zur Anwendung. Gemäss dieser Bestimmung ist zuerst auf den eigentlichen Grundbucheintrag abzustellen. Gibt dieser – wie meistens – nichts her, ist zweitens der Dienstbarkeitsvertrag als Erwerbsgrund von Bedeutung. Dieser ist so zu verstehen, wie ihn die Parteien tatsächlich verstanden haben (Beweisfrage). Ist dieser Nachweis nicht möglich, kommt es zu einer Auslegung des Vertrages nach Treu und Glauben (Rechtsfrage). Ist auch der Vertrag nicht schlüssig, wird auf die Art abgestellt, wie die Dienstbarkeit während längerer Zeit unangefochten und in guten Treuen ausgeübt worden ist.

Bei Rechtsnachfolgern
Kommt es zwischen Rechtsnachfolgern zum Streit, kommt zusätzlich der öffentliche Glaube des Grundbuches zum Zuge. Das Gesetz regelt nämlich die Wirkung des Grundbucheintrages gegenüber gutgläubigen Erwerbern. Wer sich in gutem Glauben auf einen Grundbucheintrag verlassen und daraufhin Eigentum oder andere dingliche Rechte erworben hat, ist in diesem guten Glauben zu schützen (Art. 973 Abs. 1 ZGB). Der gute Glauben ist zu vermuten (Art. 3 Abs. 1 ZGB). Aus diesem Grundsatz folgt erstens, dass der Inhalt des Grundbuchs grundsätzlich als richtig fingiert wird (positive Publizität), und zweitens, dass die Grundbucheinträge als vollständig gelten (negative Publizität).

Der gute Glauben ist aber nicht schrankenlos geschützt. Gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB kann sich derjenige nicht auf den guten Glauben berufen, der bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein kann. Liegen besondere Umstände vor, welche Zweifel an der Genauigkeit des Grundbucheintrags aufkommen lassen, muss der Erwerber nähere Erkundigungen einziehen. Dies gilt gerade bei Dienstbarkeiten. Hier geht das Bundesgericht davon aus, dass das Grundstück vor Ort besichtigt wird. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung kauft niemand ein Grundstück mit Dienstbarkeit, ohne es vorher zu besichtigen. Alles was bei einer Besichtigung erkennbar ist, ist damit für den Umfang einer Dienstbarkeit von Bedeutung.

Den guten Glauben des Erwerbers kann vor allem der physische Zustand der Liegenschaft, welcher nach aussen sichtbar in Erscheinung tritt, zerstören. So muss sich der Erwerber ein Rechtsverhältnis, das ihm auf dem Grundstück selber durch seine eindeutige äussere Erscheinung entgegentritt, entgegenhalten lassen. Gerade wo die Ausübung einer Dienstbarkeit bauliche Anlagen erforderlich macht, geben diese in der Regel auch den Inhalt und den Umfang der Dienstbarkeit wider. Der Erwerber muss sich mit voller Wirkung entgegenhalten lassen, was sich aus der Lage und der nach aussen in Erscheinung tretenden Beschaffenheit des Grundstücks ergibt.

III. Anwendung auf den zu entscheidenden Fall
Im vorliegenden Fall bestand eine asphaltierte Strasse, welche am Rand mit Pflastersteinen abgegrenzt war. Diese Strasse wurde von den beiden Eigentümern denn auch benutzt. Sie war deshalb für das Bundesgericht für die Ausdehnung der Dienstbarkeit massgeblich.
Zusätzlich stellte das Bundesgericht fest, dass Lastwagen wegen dem Steg, der ins Gebiet der Dienstbarkeit hineinragte, nicht mehr ohne Einschränkungen verkehren konnten. Das wurde als Ausübungsbehinderung im Sinne von Art. 737 Abs. 3 ZGB beurteilt. Das Bundesgericht stellt schliesslich fest, dass derjenige, welcher die Beseitigung von Bauten fordert, welche die Dienstbarkeiten verletzen, nicht rechtsmissbräuchlich handle.
Folge war, dass der Steg überhalb des Gebietes der Dienstbarkeit (= asphaltierten Strasse) entfernt werden musste.

IV. Fazit
Wer ein Grundstück mit Dienstbarkeiten kauft, muss das Grundstück vor Ort anschauen. Er muss davon ausgehen, dass die Anlagen, mit welchen von der Dienstbarkeit Gebrauch gemacht werden, für den Umfang der Dienstbarkeit primär massgeblich sind. Nur ganz klare Grundbucheintragungen oder Dienstbarkeitsverträge dürften zu einem anderen Ergebnis führen.