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Privatorische Klauseln in letztwilligen Verfügungen

Oft hat der Erblasser die Absicht, die von ihm in letztwilligen Verfügungen angeordneten Auflagen derart abzusichern, dass er den Verlust der Erbeinsetzung oder das Setzen auf den Pflichtteil als Folge einer Anfechtung der Auflage festlegt. Solche Klauseln nennt man privatorische oder Verwirkungsklauseln. Die Zulässigkeit ist strittig, auch vor den Gerichten. Der folgende Bundesgerichtsentscheid (BGE 117 II 239 ff.) zeigt dies auf.

Sachverhalt
Im Nachlass des Verstorbenen, nennen wir ihn Siller, fand sich eine eigenhändige letztwillige Verfügung vom 20. September 1981 (Verfügung 1), die zu Beginn und am Ende mit der Ortsangabe „Im Gubel, X.“ versehen ist. Nebst den eigentlichen Verfügungen enthält dieses Testament auch eine privatorische Klausel, wonach unter anderem die Zuwendungen zugunsten jener Vermächtnisnehmer, welche die im Testament enthaltenen Anordnungen anfechten sollten, zu streichen seien. Am 5. März 1983 hatte Siller im Sinne einer Ergänzung eine weitere letztwillige Verfügung (Verfügung 2) errichtet, worin Frau Müller mit einem Vermächtnis im Betrag von Fr. 500‘000.– (im Falle des Vorversterbens seiner Ehefrau sogar im Betrag von Fr. 1‘000‘000.–) bedacht wurde, der Erblasser im Übrigen aber unverändert an der Verfügung vom 20. September 1981 festhielt. Als Errichtungsort nennt dieses Testament ebenfalls „Im Gubel, X.“. Auf demselben Blatt findet sich unter dem Titel „Nachsatz“ eine weitere eigenhändige Verfügung (Verfügung 3), die das Datum des 2. Januar 1984 trägt und mit der Siller das im Jahr zuvor zugunsten von Müller errichtete Vermächtnis auf Fr. 50‘000.– herabgesetzt hatte. Dieser „Nachsatz“ schliesst mit der Klausel, dass der Anfechtende leer ausgehen soll oder auf den Pflichtteil zu setzen sei. Eine Angabe des Errichtungsortes ist dieser letztwilligen Verfügung nicht zu entnehmen. Was galt nun? Frau Müller auf jeden Fall focht die letzte Verfügung vom 2. Januar 1984 an. Sie war mit der Herabsetzung des Vermächtnisses auf „nur“ Fr. 50‘000.- nicht einverstanden.

Problemstellung
Es stellen sich zwei Probleme. Erfüllt erstens der Nachsatz vom 2. Januar 1984 (Verfügung 3) die damalige Formvorschrift von Art. 505 ZGB für ein eigenhändiges Testament? Verwirkt zweitens Müller, wenn sie mit der Anfechtungsklage nach Art. 520 ZGB durchdringt, gerade deshalb das Vermächtnis? Wenn sie also nicht anficht, erhält sie nur Fr. 50‘000.-. Wenn sie anficht, aber obsiegt, verliert sie wegen der privativen Klausel im Testament vom 20. September 1981 (Verfügung 1) alles. Eine ungemütliche Situation.

Einhaltung der Formvorschrift und Anfechtung des Mangels
Der im Zeitpunkt der Entscheidung gültige Art. 505 Abs. 1 ZGB legte fest, dass ein Testament von Anfang bis zu Ende mit Einschluss der Angabe von Ort, Jahr, Monat und Tag der Errichtung von Hand niederzuschreiben sowie mit der Unterschrift zu versehen sei. Im Nachsatz vom 2. Januar 1984 (Verfügung 3) aber fehlte der Ort. Das genügte dem Bundesgericht, von der Ungültigkeit dieser Verfügung auszugehen und die Anfechtungsklage von Müller gegen diese Verfügung nach Art. 520 Abs. 1 ZGB zu schützen. Es handle sich nicht nur um einen Zusatz oder eine Korrektur, sondern um eine neue letztwillige Verfügung. Damit beseitigte Müller die Reduktion des Vermächtnisses auf „nur“ Fr. 50‘000.-.
An dieser Stelle sei vermerkt, dass seit dem 1. Januar 1996 die Ortsangabe im Testament nicht mehr notwendig ist, wohl aber die anderen zitierten Formvorschriften.

Einwendung der privatorischen Klausel
Nun aber machte die Ehegattin von Siller geltend, Müller hätte die Verfügung von Siller angefochten und würde deshalb aufgrund der privatorischen oder Verwirkungsklausel in der Verfügung vom 20. September 1981 (Verfügung 1) das Vermächtnis vollständig verlieren. Der Erblasser habe nämlich ausdrücklich festgehalten, dass derjenige, welcher seine letztwillige Verfügung anfechte, das Vermächtnis verliere. Dem Willen des Erblassers müsse Nachachtung verschafft werden. Die Gültigkeit dieser Verfügung würde von den Parteien nicht bestritten.
Dem aber entgegnet das Bundesgericht wie folgt. Die Formvorschriften seien zwingender Natur. Der Erblasser könne nicht mit einer privatorischen oder Verwirkungsklausel indirekt erzwingen, dass die Verletzung von Formvorschriften vor Gericht nicht geltend gemacht werden können. Das Recht zur Anfechtung bleibe auch bei derartigen Klauseln gewahrt.
Die Ehefrau von Siller musste sich also damit abfinden, das Vermächtnis von Fr. 500‘000.- an Müller auszahlen zu müssen.

Fazit
Privative oder Verwirkungsklauseln in letztwilligen Verfügungen sind grundsätzlich zulässig. Sie dienen dazu, die Nachachtung von Auflagen zu verstärken und den Gang ans Gericht einzuschränken. Sie können aber nicht verhindern, dass Begünstigte ihre im Gesetz festgelegten Rechte wahrnehmen. Ihre Wirkung ist also regelmässig auf die erfolglose Rechtsdurchsetzung beschränkt, wenn also z.B. eine Anfechtungsklage nicht durchdringt. Insofern bleibt die Lage desjenigen, der vor Gericht geht, ungemütlich.