I. Ausgangslage
In früheren Advisor-Beiträgen wurden die verschiedenen Methoden der Liegenschaftenschätzung erläutert. Bei der Darstellung der Methoden wurde eines sicher bewusst: Bei der Schätzung besteht ein grosser Ermessensspielraum desjenigen, der die Schätzung vornimmt. Auch wenn landläufig die Ansicht vorherrscht, dass es den richtigen Wert einer Liegenschaft gibt, so zeigt die Praxis immer wieder, dass dies nicht der Fall ist. Es gibt so viele Werte wie Schätzer. Berechtigterweise kann man sich deshalb fragen, ob es überhaupt eine Haftung für eine falsche Schätzung gibt.
II. Ein konkreter Anwendungsfall
Die Gebrüder Hans und Peter Muster befanden sich im Jahre 1994 in einem Erbteilungsprozess. In der Erbmasse befand sich auch eine Liegenschaft. Peter Muster wollte die Liegenschaft übernehmen. Doch zwischen den Gebrüdern Muster war der Wert der Liegenschaft strittig. Es wurde deshalb bei einem Liegenschaftenschätzer ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Gutachter schätzte die Liegenschaft auf CHF 573‘000. Zu diesem Wert wurde in der Folge die Liegenschaft Peter Muster zugeteilt. Fünf Jahre später verkaufte Peter Muster die Liegenschaft zu CHF 440‘000. Peter Muster fühlte sich durch die seinerzeitige Schätzung übervorteilt und klagte den damaligen Schätzer auf Schadenersatz ein. Begründet wurde die Ersatzforderung mit drei weiteren Liegenschaftenschätzungen. So hatte die Steuerverwaltung die Liegenschaft im Jahre 1998 mit CHF 361‘000 bewertet. Ein anderer Schätzer kam auf einen Wert von CHF 456‘000 und die Kantonalbank auf einen solchen von CHF 445‘000. Alle Gutachten waren wesentlich tiefer als die CHF 573‘000, weshalb Peter Muster meinte, im Recht zu sein.
III. Qualifikation des Rechtsverhältnisses
Das Gericht, welches über den Streit entscheiden musste, fragte sich zunächst, nach welchem Recht es das Rechtsverhältnis zum Liegenschaftenschätzer beurteilten sollte. In Frage kamen einerseits Werkvertragsrecht, andererseits Auftragsrecht. Während im Werkvertrag die Herstellung eines Werkes versprochen wird, ist dies im Auftragsrecht die Besorgung der übertragenen Geschäfte. Das Hauptabgrenzungsmerkmal ist also der Arbeitserfolg. Während im Werkvertragsrecht dieser Arbeitserfolg selbst versprochen wird, ist dies im Auftragsrecht nicht der Fall. Hier wird nur ein Tätigwerden im Hinblick auf den Erfolg geschuldet.
Das Gericht hielt bei der Abgrenzung zunächst fest, dass auch bei geistigen Leistungen ein Erfolg versprochen werden kann. Es braucht also nicht unbedingt ein körperliches Arbeitsergebnis, um überhaupt auf Werkvertrag schliessen zu können. Die blosse Körperlichkeit des Arbeitsergebnisses fiel als Abgrenzungskriterium deshalb weg.
Entscheidend für die Abgrenzung war vielmehr die Frage, ob die Arbeit zu einem Ergebnis führt, dessen Richtigkeit nach rein objektiven Kriterien beurteilt werden kann. Kann diese objektive Richtigkeit der Arbeit beurteilt und damit auch versprochen werden, so kommt Werkvertrag zum Zuge. Ist dies nicht der Fall, ist auf Auftragsrecht abzustellen.
Die Schätzung des Wertes einer Sache ist nun offensichtlich eine Ermessensache. Objektive Massstäbe, um die Richtigkeit des Wertes beurteilen zu können, gibt es nicht. Das Resultat einer Schätzung kann nicht nach objektiven Kriterien als richtig oder falsch beurteilt werden.
Aber auch wenn das Resultat der Arbeit beim Auftrag nicht nach einem objektiven Massstab beurteilt werden kann, so wird doch gefordert, dass das Tätigwerden, d.h. die Arbeit mit der gehörigen Sorgfalt vorgenommen wird. Beim Umfang der Sorgfalt wird dabei auf das Können eines gewissenhaften Fachmannes und auf allgemein befolgte Verhaltensregeln und Usanzen abgestellt. Wird gegen diese Verhaltensregeln verstossen, so kommt es auch beim Auftrag zu einer Haftung. Der ausgebliebene Erfolg allein ist aber nicht haftungsbegründend.
IV. Konkrete Folgerungen
Die Unterstellung der Liegenschaftenschätzung unter das Auftragsrecht hat verschiedene konkrete Folgerungen: Wenn der Auftraggeber mit dem Ergebnis der Schätzung nicht einverstanden ist, muss er keine Angst haben, wenn er die Schätzung nicht sofort prüft und rügt. Es gibt beim Auftrag keine Prüfungs- und Rügepflichten. Die Verjährung eines Schadenersatzanspruchs tritt zudem erst nach 10 Jahren ein. Bei der Substanzierung der Haftung ist allerdings nicht das Ergebnis der Schätzung zu kritisieren, sondern das Tätigwerden bei der Schätzung. Den Schadenersatzanspruch mit drei anderen, tieferen Schätzungen zu begründen, war also von Anfang an nicht zielführend. Deshalb wurde die Klage vom Gericht auch abgewiesen. Es hätten demgegenüber Fehler bei der Tätigkeit des Schätzens vorgebracht werden müssen.
V. Würdigung
Die Haftung bei der Erstellung einer Liegenschaftenschätzung kann wie folgt zusammengefasst werden: Es gibt keine Haftung für eine falsche Schätzung; es gibt nur – aber immerhin – eine Haftung für sorgfaltswidriges Schätzen. Rechtlich wird eben nicht der Erfolg oder das Ergebnis beurteilt, sondern die Tätigkeit im Hinblick auf den Erfolg.