Die Anfechtung eines korrekt abgeschlossenen Vertrages durch eine Vertragspartei ist in der Schweiz eine Seltenheit. Das Mietrecht aber sieht diese Möglichkeit im Gesetz ausdrücklich vor. Das Gesetz ist aber sehr knapp gehalten, weshalb die Gerichtspraxis viele Detailfragen durch Auslegung der entsprechenden Normen entscheiden muss. Dazu gehört auch die nachfolgende Entscheidung (Bundesgericht, 4A_147/2016).
Sachverhalt
Der Mietvertrag zwischen den beiden Parteien wurde im Jahr 2013 abgeschlossen. Das Mietverhältnis erstreckte sich auf eine Wohnung in Genf mit zwei Zimmern, Küche und Bad. Der Mietzins belief sich auf Fr. 2‘060.00. Im Formular wurde die Höhe mit Quartierüblichkeit begründet. Schon der Vormieter bezahlte diesen Mietzins seit dem Jahr 2011. Das Haus, in welchem sich die Wohnung befindet, wurde im Jahr 1929 gebaut. Es gehörte seit Erstellung der gleichen Eigentümerin. Der neue Mieter focht den Anfangsmietzins an. Sein Begehren stützte er auf eine amtliche Mietzinsstatistik des Kantons Genf. Das Mietgericht wies erstinstanzlich die Klage ab. Das Kantonsgericht schützte zweitinstanzlich die Klage des Mieters und reduzierte den Mietzins auf Fr. 1‘250.00. Begründet wurde die Gutheissung der Klage wie folgt: Der Vermieter habe den Gegenbeweis der Quartierüblichkeit nicht erbringen können. Der Mietzins von Fr. 1‘250.00 sei aufgrund der Entwicklung der Kostenfaktoren (Teuerung und Hypothekarzins) und der amtlichen Statistik nachgewiesen. Das Bundesgericht war aber anderer Meinung.
Beurteilung
Anfechtungsmöglichkeit
Der Mieter kann den Anfangsmietzins als missbräuchlich anfechten und dessen Herabsetzung fordern, wenn der Mietzins missbräuchlich ist. Missbräuchlich ist der Zins, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird. Hält sich der Mietzins an die Quartierüblichkeit, so ist er regelmässig nicht missbräuchlich.
Anwendbare Methode
Zum Nachweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses kommt die absolute Methode zur Anwendung. Entweder wird auf das Marktprinzip (Orts- und Quartierüblichkeit) oder auf das Kostenprinzip abgestellt (Nettorendite). Die Nettorendite geht der Orts- und Quartierüblichkeit vor. Bei Altbauten aber kann die Berechnung der Nettorendite auf Schwierigkeiten stossen oder gar unmöglich werden. Dann kommt die Berechnung der Nettorendite nicht mehr zum Zug. Vorliegend handelte es sich um einen Altbau. Es sind deshalb die Orts- und quartierüblichen Mietzinsen festzustellen.
Nachweis der Orts- und Quartierüblichkeit
Nach Art. 11 VMWG ist die betroffene Wohnungen mit anderen Wohnungen zu vergleichen, die nach Lage, Grösse, Ausstattung, Zustand und Bauperiode vergleichbar sind. Erforderlich sind, wenn keine amtlichen Statistiken zur Verfügung stehen, wenigstens fünf Vergleichsobjekte. Die amtliche Statistik des Kantons Genf genügte den Anforderungen nicht, welche das Bundesgericht bei derartigen Statistiken setzt.
Beweisfragen
Für die Ortsüblichkeit gilt der strikte Beweis der Gewissheit. Voraussetzungen für eine Beweiserleichterung liegen nicht vor. Beweisprobleme im Einzelfall sind deshalb ohne Belang. Bei der Anfechtung des Anfangsmietzinses trifft den Mieter die Beweislast. Den Vermieter trifft keine Mitwirkungspflicht. Der Beweis bezieht sich auf die Erheblichkeit der Erhöhung des Anfangsmietzinses im Vergleich mit dem Vormietzins. Eine erhebliche Erhöhung liegt vor, wenn sie mehr als 10% beträgt. Die Erhöhung ist dann missbräuchlich. Der Vermieter kann dann aber mit Vergleichsmieten immerhin noch den Beweis erbringen, dass es sich um einen Ausnahmefall handelt und der Anfangsmietzins entgegen seinem Anschein nicht missbräuchlich ist.
Entscheidung
Das Bundesgericht hob die Entscheidung des Kantonsgerichts auf. Der neue Mietzins war gleich hoch wie der bisherige. Der Mieter konnte keine fünf Vergleichsobjekte vorbringen, welche diesen Mietzins als missbräuchlich belegen konnten. Damit misslang dem Mieter der Nachweis der Missbräuchlichkeit des Anfangsmietzinses.
Fazit
Die Berufung auf die Orts- und Quartierüblichkeit ist ein zweischneidiges Schwert, weil die erforderlichen fünf Vergleichsobjekte meist nicht vorliegen. Dann ist die Verteilung der Beweislast von entscheidender Bedeutung. Neu im vorliegenden Fall ist die Regel, dass bei einer Erhöhung des Anfangsmietzinses um mehr als 10% gegenüber dem Vormietzins der Anschein der Missbräuchlichkeit belegt ist und es dem Vermieter obliegt, diesen Anschein zu widerlegen.